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ASYFAIR – Eine kritische, interdisziplinäre Studie für gerechte und konsequente Asylgerichtsverfahren in Europa

Justice
Quelle:  Sang Hyun Cho auf Pixabay

“Fairness” ist subjektiv und oft im Auge des Betrachters. Aber was ist Fairness in Gerichtsverfahren?

Wir sind alle davon überzeugt, dass egal in welchem unabhängigen Gericht unser Fall gehört wird, die gleichen Verfahren und Fairness angewendet werden. Wir sind auch der Ansicht, dass die Welt außerhalb des Gerichtes – wie z.B. Politik, öffentliche Diskurse und Medien – keinen Einfluss auf Gerichtsverfahren haben soll. Aber einige Forschungsarbeiten deutet darauf hin, dass Gerichtsverfahren von dem, was außerhalb der Gerichte stattfindet, beeinflusst werden, und dass sowohl Gerichtsverfahren als auch die Ergebnisse von Rechtsfällen zwischen Gerichten abweichen können. Vielleicht haben diese Unterschiede wenig Einfluss auf unseren bestimmten Fall, und unabhängig von äußeren Einflüssen, erfahren wir einen fairen Prozess. Falls es jedoch zu gravierenden rechtlichen und prozessualen Unterschieden (in “ähnlichen” Fällen) zwischen Kammern, Gerichten, Bundesländern und EU-Staaten kommt, kann dies durchaus problematisch sein.

Rechtliche Kohärenz und die juristische Vereinheitlichung des Asylsystems wird regelmäßig als wünschenswertes Ziel der EU angeführt. ASYFAIR untersucht Gerichtsverfahren gegen Asylentscheidungen in mehreren europäischen Ländern, um die Einheitlichkeit der gerichtlichen Zuständigkeitsmechanismen in diesem Bereich, sowie Prozessnormen zu überprüfen.

Die Forscher problematisieren und untersuchen Asylgerichtsverfahren von verschiedenen Perspektiven:

Einerseits könnten Asylsuchende in Europa benachteiligt sein, da sie oft keine Wahl haben wo ihr Fall gehört wird und wer sie repräsentiert (und in welchem Ausmaß). Oft haben Asylsuchende auch keine Kenntnisse von der lokalen Rechtslage, welche Rechte ihnen zustehen, welche Pflichten sie haben, und wie Gerichtsverfahren verlaufen. In den meisten Fällen kommt es auch zu Problemen aufgrund der fehlenden Kenntnisse in der lokalen Sprache, und die meisten Asylsuchenden sind auf DolmetscherInnen angewiesen.

Des Weiteren erfahren RichterInnen, DolmetscherInnen, staatliche (ministerielle) BearbeiterInnen und RechtsvertreterInnen eine enorm erhöhte Arbeitsbelastung, welche Prozessnormen, Verfahrensablauf und Entscheidungen negative beeinflussen könnten.

Gravierende Unterschiede in Prozessnormen, Verfahrensablauf und Entscheidungen zwischen verschiedenen Kammern, Gerichten, Bundesländern und EU-Staaten kann auch zu Problemen mit dem europäischen Verständnis und Prinzipien der  Rechtsstaatlichkeit führen, und daher muss das Projekt des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in Frage gestellt werden.

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Im Jahr 2013 wurde das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS – Common European Asylum System [CEAS]) ins Leben gerufen, um das Asylsystem in Europa zu vereinheitlichen. Im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 47) strebt GEAS an, das Recht auf ein faires Asylverfahren zu gewährleisten, egal in welchem EU-Land ein Mensch Schutz sucht. Jedoch wurden bisher keine vergleichenden Studien durchgeführt, die Fairness und Einheitlichkeit in Asylverfahren in Europa untersuchen, und eine Vereinheitlichung von konsequenten Grenzkontrollen sowie Asylverfahren in Europa erscheint unmöglich.

Ein interdisziplinäres Team an der Universität Exeter (Großbritannien) hat ASYFAIR ins Leben gerufen – ein Projekt, das die Möglichkeit bietet die Standardisierung des Asylverfahrens in Europa zu untersuchen und zu bewerten.

Dieses langjährige Forschungsprojekt setzt es sich zum Ziel jene Faktoren in Asylgerichtsverfahren zu untersuchen, die negative Konsequenzen für Beteiligte sowie für die Rechtsstaatlichkeit nach sich ziehen können. Um die Risiken bürokratischer und legaler Unstimmigkeiten aufzudecken, verwendet ASYFAIR innovative Methoden um Lösungen zu finden die für alle Beteiligten geeignet sind. Ein Beispiel wäre die Entwicklung von Vorschlägen für faire und konsequente Prozessnormen die in allen EU-Staaten angewendet werden könnten, sowie verfahrensrechtliche oder arbeitstechnische Komponenten aufzudecken, die Beteiligte für ihre Arbeit in Asylgerichtsverfahren am nützlichsten finden, um ihre Arbeit fair und konsequent zu erledigen.

Um umfassende und aussagekräftige Datensätze hervorzubringen, verwendet das Projekt eine innovative Kombination von Forschungsmethoden, einschließlich quantitativer Analysen, Gerichtsethnographien, Diskursanalysen, Umfragen und Interviews in verschiedenen EU-Ländern, wie z.B. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Belgien Griechenland und Italien.

ASYFAIR ist ein interdisziplinäres Projekt an der Schnittstelle zwischen kritischer Humangeographie, Anthropologie, Migrationsforschung und Rechtswissenschaften, welches Kohärenz in der Asylgerichtsbarkeit in Europa untersucht. Die Forschung geht jedoch über die verwaltungsrechtlichen Konzepte der inhaltlichen und verfahrensmäßigen Kohärenz hinaus, indem sie eine dreifache Konzeptualisierung von Kohärenz einbezieht – als alltägliche Praxis; als faktische Darstellung; und als Methode der Disziplin. Die theoretische Seite der Forschung befasst sich auch mit der explizit antagonistische Beziehung zwischen Geographie, Recht und Macht, in wessen Debatte staatliche Gesetze dazu dienen den gelebten Raum sowie Personen zu beschränken und zu systematisieren.

In dieser entscheidenden Phase der Konsolidierung des Asylsystems und der Grenzkontrollen in Europa, kann ASYFAIR als intellektuelle Kritik der Informationspolitik und der Gesetzgebung verstanden werden. In diesem Sinne, ist ASYFAIR und dessen Resultate von Interesse für SozialwissenschaftlerInnen, und AkademikerInnen, sowie für JuristInnen, politische EntscheidungsträgerInnen, AktivistInnen, und all denen die im Asylrecht in Europa tätig sind.

Weitere Informationen finden Sie hier.

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Wir freuen uns auf die ASYFAIR Projekt Konferenz, welche von 30. Juni– 3 Juli 2021 virtuell (via Zoom) stattfinden wird. Bitte klicken Sie hier für weitere Informationen (in Englisch).

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Dieses Projekt ist Teil der Sozialwissenschaftlichen Abteilung der Universität Exeter (Legale und Politische Geographie), und wird von dem Europäischen Forschungsrat (European Research Council – ERC) unterstützt.

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